Mit einem Bluetoothlautsprecher kam die Musik zurück in mein Leben. Nein, eigentlich war es der Wunsch zu tanzen und der Wunsch zu leben. Die Musik spielt endlich wieder, so dass ich gar nicht anders kann, als daran zu glauben kann, dass mir das Glück zusteht. Erstaunlicherweise beschwert sich niemand über meinen Krach. Ich trage meinen kleinen Bluetoothlautsprecher seit ein paar Tagen mit mir von Raum zu Raum herum, singe und tanze und freue mich wie Bolle.

Seit dem ich Mutter bin, gab es so gut wie keine neue Musik mehr in mein Leben. Wenn ich in den letzten Jahren mal alleine mit Kopfhörern Musik hörte, dann hörte ich meine Lieblings-Musik aus den 90ern – zumindest den kleinen Teil davon, den ich digitalisiert habe. Als Familie gab es sonst hauptsächlich Kinderlieder und Weihnachtslieder. Dank der Band Deine Freunde, unserem gemeinsamen Nenner, war das zumindest ok. Aber es war auch nicht gut, denn es war zu wenig. Wo war ich, wenn es nur noch ein „wir“ gab?

Es war nicht so, dass es mir nicht gestattet war, mit Musik zu leben. Ich selbst gewährte mir keinen Raum dafür. Ich habe mich so dermaßen verloren in den letzten knapp 20 Jahren. Das ist erschreckend. Es war kein bewusster Prozess. Es ist einfach passiert und ich war nicht in der Lage, etwas zu ändern. Mir war schon vor Jahren klar, dass mein Kind kein bedürftiger Säugling mehr ist und dass es durchaus möglich wäre, nicht mehr ständig verfügbar zu sein. Doch ich konnte es nicht. Ein unsichtbares Band hielt mich in meiner Rolle und den gefühlten Verpflichtungen fest. Ich war brav, obwohl niemand Ansprüche formulierte. Natürlich habe ich wieder gearbeitet und Dinge gemacht, auf die ich Lust hatte, aber stets mit angezogener Handbremse und dem Gefühl mir diese Ausnahmen nur gönnen zu können, wenn ich möglichst schnell ins traute Heim zurück kehren würde.

Das Klavier im Flur verstaubte und diente nur als Ablage für Handschuhe. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es ungemütlich ist, im zugigen Flur zu spielen. Ich glaube das ist es nicht allein. Im Gegensatz zum Klavierspiel meiner Jugend habe ich in den letzten Jahren nur mit Kopfhörer gespielt. Das ist nicht das Gleiche. Als Jugendliche stand das Klavier in meinem Zimmer. Ich konnte mich in Chopin versenken oder bei Schlagern lauthals mitsingen. Diese äußere und innere Freiheit konnte ich mir mit dem E-Piano im Flur nicht gestatten. Also legte ich eine Decke über das Instrument und mit der Zeit vergaß ich das Ding und meine Bedürfnisse.

Vor Jahren habe ich auch mal einen Lautsprecher geschenkt bekommen mit CD-Spieler und der einfachen Möglichkeit, einen iPod anzuschließen. Doch die Küche ist klein, das Ding steht oben auf dem Kühlschrank und weil ich nicht drankomme, benutze ich ihn nicht. Weil ich den Podcast „Urban Pop“ hörte, bekam ich auch die eine oder andere CD-Geschenkt von Künstler*innen, die ich lange Zeit vergessen hatte und bei denen mich das Wiederhören rührte. Die CDs lagen jahrelang herum, denn mein Mac hat kein CD-Laufwerk. Erst vor kurzem habe ich es mal geschafft, die Musik mit einem externen Laufwerk zu importieren. Doch die erwartungsvolle Freude, die ich hatte, als ich die Geschenke auspackte war verflogen. Digitalisiert habe ich sie auch nicht gehört, denn Musik gehörte einfach nicht mehr zu meinem Leben dazu. An den Geräten lag es also nicht. Es lag an mir.

Vielleicht habe ich auch deswegen keine Musik in den letzten Jahren gehört, weil so oft der Fernseher lief und immer, wenn er mal aus war, genoß ich die Stille. Ich brauchte nicht noch etwas. Mein Kopf schwirrte oft so laut, dass ich die Ruhe genoss, wenn ich mal alleine war. Dass ich in diesem weniger Lärm auch immer weniger wurde, bemerkte ich nicht. Über so viele Jahre habe ich meine Bedürfnisse zurückgenommen, bis ich gar nicht mehr wusste, wer ich war. Es gab keinen Raum für mich. Jahrelang habe ich gehofft, dass unserer Wohnung ein zusätzlicher Raum anwächst. Doch so einfach ist es nicht mit der Magie. Dabei halte ich es für einen durchaus berechtigten Wunsch, dass ein Mensch ein eigenes Zimmer hat. Wo soll man denn sonst hin mit sich?

Anfang des Jahres habe ich seitenweise in ganz kleiner Schrift jammernd in ein Tagebuch geschrieben. Das konnte ich noch nicht mal ins Internet schreiben, weil ich mich dabei so erbärmlich fühlte. Wenn ich damals gewusst hätte, dass dieser Tiefpunkt sein musste, damit sich etwas ändert und wenn ich gewusst hätte, wie großartig nun die Musik für mich spielt, dann wäre es leichter gewesen. Aber so ist das mit den Krisen. Der Horizont ist leider nicht in Sicht.

Bald habe ich eine kleine Wohnung in Kiel. Es ist erst einmal nur für 3 Monate. Aber sie ist mein und ich musste mich ordentlich durchringen, mir diesen Luxus zu erlauben, eine zusätzliche Wohnung anzumieten nur für 2-3 Tage die Woche – einfach nur für mich, nur damit es mir gut tut. Die zeitliche Beschränkung und die fertig eingerichtete Wohnung erleichterten mir die Entscheidung, denn es ist leicht, in ein gemachtes Bett zu steigen und zu wissen, dass es nicht für immer ist. So ist es ja erstmal nur zum Ausprobieren – ohne Konsequenzen ist es vermutlich nicht. Aber das Risiko muss ich eingehen. Als ich überlegte, was ich in diese Wohnung mitnehmen möchte, um sie zu personalisieren, um sie zu meinem Zuhause zu machen, ist mir nicht viel eingefallen: Mein Kopfkissen, meine Häkeldecke, ein Strickzeug … und dann dachte ich „Musik!“. Ein Raum kann zu meinem Zuhause werden, wenn ich ich sein darf, wenn meine Musik läuft, wenn ich lautstark mitsingen kann und durchs Leben tanze. Und großartigerweise bekam ich einen Bluetooth-Lautsprecher geschenkt.

Jetzt will ich tanzen. Jetzt will ich leben. Ich will laute Musik hören und zwar meine Musik und ganz neue Musik. Ich will das Leben entdecken und staunend genießen, was es für mich bereit hält. Ich freu mich auf 2026.