Bei einem Telefonat heute mit dem Teenager habe ich erfahren, dass meine Reiseberichte zwar zur Kenntnis gekommen werden, aber zu lang sind. Also starte ich heute mit einer Kurzfassung: Palermo ist intensiv.

Nachdem ich kurz nach Mitternacht aufschreckte, weil ich vergessen hatte, unser Müsli vorzubereiten, schlich ich durch die dunkle, unbekannte Ferienwohnung und suchte Teller, Körner und Hafermilch und das ohne die Reisebegleiterin zu wecken, deren Bett quasi im gleichen Zimmer stand. Dies gelang, doch leider gelang es mir dann nicht mehr einzuschlafen. Irgendwann schlief ich dann doch und wachte sehr spät mit wirren Träumen (ich war im Traum in China!) auf.

Wir frühstückten gemütlich und hofften, einen zweiten Kaffe nach nur wenigen Schritten an dem Platz vor dem Supermarkt trinken zu können. Dort war ein Kiosk, an dem am Vorabend Menschen günstigen Aperol-Spritz tranken. Doch der Kiosk war leider geschlossen, genauso wie die nette Bäckerei um die Ecke. Doch es war Markt! Markt ist immer gut.

Der Anfang des Marktes war harmlos. Wir entdeckten auch ein hübsches Café und aßen zu dem Kaffee gleich noch ein paar Dolci: eine Rolle mit Pistazien und Schokolade außen – innen schmeckte sie wie kalter Hund. Das Mandelgebäck, gefüllt mit Creme wurde sogar warm serviert. Sehr interessant, süß und lecker.

Es war sehr schön, die Menschen, die an uns vorbeizogen zu beobachten. Ausnahmsweise sahen wir nicht nur Tourist*innen, es waren auch viele Italiener*innen unterwegs. Da ich am Abend vorher das Buch „Der Gattopardo“ von Giuseppe Tomasi die Lampedusa zu lesen begonnen hatte, das auch meine Eltern auf ihrem Sizielienurlaub gelesen hatten und in dem Paket mit Reiselektüre dabei war, was sie mir freundlicherweise schickten, mutmaßte ich, dass es möglicherweise ein Feiertag auf Sizilien sein könnte, der so viele Menschen in die Hauptstadt lockte. Am 4. April 1860 gab es in einer Vorstadt von Palermo einen bewaffneten Zusammenstoß mit der Polizei, der das Signal zum Aufstand gab. Dann kam Giuseppe Garibaldi und 1861 wurde Sizilien Teil des jungen Königreichs Italien. (Diese Zeit nennt man Risorgimento und das steht alles im Anhang des Romans, sonst wüsste ich das auch nicht.) Da wir heute den 6. April haben und damit der 4. April auf einen Freitag fiel, spekulierte ich, dass vielleicht das ganze Wochenende gefeiert werden würde. Aber vielleicht war es auch nur das erste Wochenende mit schönem Wetter dieses Jahr oder es sind hier jeden Sonntag (oder jeden Tag) so viele Menschen auf den Straßen.

Aus der Ferne sahen wir von unserem Kaffeeplatz Rauch aufsteigen und hörten bereits laute Live-Musik. Es war hinreißend zu sehen, dass die Italienerinnen (zunächst nur die Frauen) an uns vorbeilaufend mitsangen und tanzende Bewegungen machten. Als wir unsere Pause beendeten und weitergingen, waren wir sehr gespannt, woher der Rauch kam. Es stellte sich heraus, dass dort, wo die Live-Musik (von 2 Bands weitestgehend gleichzeitig) gespielt wurde auch heftig Fleisch gegrillt wurde. Während die Stimmung vor dem Kaffee schon einem deutschen Stadtfest glich – aber eben Nachmittags, ohne den üblicherweise damit verbundenen Alkohol, waren wir nun auf einem italienischen Stadtfest gelandet. Das war Stadtfest hoch 10. Es war laut, richtig laut. Die Menschen lagen sich in den Armen und sangen jedes Wort mit. Es gab kaum ein Durchkommen durch die Menschenmassen, aber zurück konnten wir auch nicht. Erst war es schön, dann sehr anstrengend. Aber irgendwann hatten wir den zentralen Platz mit den Bands hinter uns gelassen. Dann ging es wieder, obwohl unsere Ohren noch dröhnten.

Die Souvenir-Stände sind mit den gleichen Waren ausgestattet wie in Syrakus. Überall Zitronen und Pinienzapfen und Kühlschrankmagnete. Wer möchte diese ganzen Kühlschrankmagnete? Wahrscheinlich kaufen die Menschen diese, weil sie solche schon mal von den Nachbarn mitgebracht bekommen haben und sich deswegen revanchieren wollen. Es muss irgendwo in unserem Universum einen großen Kühlschrankmagnetfriedhof geben. Das Angebot der Marktstände wiederholte sich, Rumsteherchen-Souvenirs, Tischdecken mit Zitronenmotiven, Gewürze, Nudeln und es gab auch Teller und Tütchen mit frisch zubereiteten Meeresfrüchten. Diese stehen mal wieder auf unserem Programm, aber direkt nach den Törtchen war uns nicht danach.

Am Ende des Marktes angekommen, mussten wir uns erstmal hinsetzen und uns orientieren. Das läuft meinst so, dass meine Reisebegleiterin ihr Mobiltelefon zückt, nachschaut wo wir sind und wo wir hingehen könnten, es mir zeigt, ich mit der Sonnenbrille auf dem Bildschirm nichts erkennen kann und „ja, ja“ sage. Dann fällt ihr ein, dass sie noch mal checken könnte, wie viel Schritte wir schon gegangen sind oder dass man noch Duolingo machen könnte und dann hat sie vergessen, wo wir als nächstes hinwollen und schaut noch mal. In der Zwischenzeit habe ich Zeit, die Umgebung und die Menschen zu beobachten. Noch immer waren wir von italienischen Personen umgeben, die fast jedes Wort mitsangen. Ich dachte früher, dass Italohit-Sammlungen nur für Pizzerien in Deutschland gemacht wären, um den Deutschen ein klischeehaftes Bild von Italien zu vermitteln. Aber nein. Albano und Romina Power und Konsorten werden hier mitgesungen. Ich werde dieses Bild nie mehr aus meinem akustischen Reisegedächtnis bekommen.

Wir liefen und liefen nun kreuz und quer durch die Straßen, tendenziell nach unten, weil uns der Hafen lockte. Wir überlegten, ob wir vielleicht zu der Reederei für unsere Überfahrt nach Neapel gehen könnten, um dort noch mal nachzufragen, ob da Papierticket wirklich nötig sei und ob wir vielleicht schon tagsüber unser Gepäck dort lagern könnten, aber so einfach war das nicht. Die Terminals am Hafen für die Fähren lagen eher weiträumig auseinander, an einem angekommen, bei dem zwar unser möglicher Abfahrtsort in Sichtweite lag machten wir mal wieder schlapp, zogen die Schuhe aus und aßen ein paar Nüsschen, um wieder zu Kräften zu kommen. Nun mussten wir uns entscheiden: Gehen wir nach rechts in der Hoffnung eine positive Auskunft zu bekommen oder gehen wir nach links, wo es netter aussieht? Wir gingen nach links, da tobte dann auch wieder der Bär. Viele Menschen, laute Musik, aber ein netter Spaziergang am Yachthafen entlang. Meine Reisebegleiterin ist Seglerin und erklärte mir, dass in Italien die Boote „römisch-katholisch“ geparkt werden, also mit dem Popo zuerst. (Mit dem Heck zum Steg). Wieder was gelernt.

Weiter ging es wieder in die Stadt und wieder waren wir schlapp. Palermo hat einen sehr unebenen Straßenbelag. Es ist sehr anstrengend zu laufen. Ich spüre jeden Muskel und jedes Knöchelchen in Füßen und Beinen. Aber wir entdeckten immer wieder schöne Ecken und stießen immer wieder auf Plätze mit lauter Musik und vielen Menschen. Besonders systematisch waren wir nicht unterwegs. Weder hatten wir konkrete Ziele noch eine klare Streckenplanung. Das hatte aber durchaus Vorteile, denn wir kamen zum Beispiel am Palazzo der Lampedusa zufällig vorbei, den ich bereits aus dem Buch kannte und genau wie dort beschrieben erkannte man, wie sehr diese Gegend im zweiten Weltkrieg beschädigt worden war und wie auf den Trümmern einfach noch aufgebaut wurde. Das scheinen hier alle so gemacht zu haben, denn z.B. auch die Kathedrale hier ist eine wilde Mischung aus Baustilen.

Durch das späte Frühstück und das wenig planvolle Herumlaufen, hing mir irgendwann der Magen zwischen den Knien. Wir standen vor einem geöffneten Supermarkt und machten den Fehler hungrig einzukaufen. Das war mal wieder eine Herausforderung. Wir kauften ein paar Sachen für das Abendbrot und ein Sandwich, was ich auf der Stelle verschlingen musste, um nicht sehr übellaunig zu werden. Allerdings fanden wir dann nur wenige Straßen weiter eine ausnehmend hübsche Focacceria, in der wir einen Mix-Teller frittierter Reisdinger aßen. Danach war ich pappsatt und hätte sehr gerne einen Aperitivo oder Kaffee getrunken, doch mal wieder hatten wir Schwierigkeiten, eine geeignete Bar dafür zu finden (die nett aussah, nicht voller Touristen und keine ohrenbetäubende Musik spielt).

Nun schleppten wir uns nur noch nachhause, machten die Waschmaschine ein zweites Mal an und fielen in unsere Betten, um den ohrenbetäubenden Lärm der Waschmaschine zu verschlafen. Anschließend hatten wir leider keinen Hunger mehr, um die gekaufte Pasta zu essen, also bereiteten wir uns ein interessantes Mahl aus Tomatensuppe mit Linsen und Karotten als ersten Gang (Frau Naja, wollte unbedingt den Tomatensugo mit Peperoni kaufen, der wirklich, wirklich scharf war und der dann durch den von mir ausgesuchten Linsensalat etwas entschärft wurde), zwei Stücke aufgewärmte Pizza von gestern, den neu gekauften Käse und zwei Apfelsinen bestand. Klingt merkwürdig, war aber lecker. Das nicht nur die Suppe sondern auch der Käse unglaublich scharf waren, passt zu unseren Eindrücken von Palermo. Hier ist alles ein bisschen überdosiert, aber wir finden es gut. Den Abend beenden wir gleich wie gestern mit einer Gute-Nacht-Geschichte: dem Reisebericht meiner Eltern über Sizilien, sehr schön zu lesen. Der Apfel fällt nicht weit weg vom Birnbaum.