Die Nacht im Nachzug war lang. Ich stieg in mein Bett und stöhnte auf, weil es so hart war. Zunächst dachte ich, dass ich bei dem mehr oder weniger sanften Ruckeln des Zuges schnell einschlafen könnte, so müde wie ich war, aber ich hatte das Gefühl, mein Kopf lag tiefer als der Rest des Körpers, es war eng und es war vor allen Dingen auch sehr laut, denn wir hatten das Fenster einen Spalt auf. Nach 45 Minuten erfolglosem Versuch einzuschlafen, angelte ich nach einer meiner Taschen, um die Ohropax herauszusuchen. Auch mit den Dingern im Ohr war es noch laut und mein Kopf lang noch unbequemer als vorher.

Die Schlafbrille half gegen die blitzenden Lichter von draußen, doch ich lag weiter wach und grübelte darüber nach, wie ich mich an der Leiter vorbei aus dem Bett schlängeln könnte, um auf die Toillette zu gehen. Als ich mich wieder in das Bett eingefädelt hatte, kam ich auf die Idee, mein Reisekissen aufzublasen, um es unter das Zugkissen zu legen. Das war eine hervorragende Idee, doch zunächst musste ich im Dunkeln die Tasche mit dem Reisekissen finden… Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen, genauer gesagt „immer wieder eingeschlafen“, denn es war eine unruhige Nacht.

Als ich um kurz vor 7 wieder einmal aufwachte, bemerkte ich als ich die Schlafbrille lupfte,, dass es mittlerweile draußen hell war. Ich sah einen Berg und bildete mir ein, dass es ein Vulkan sei. Im gebücktem Stehen, hinter der Leiter, grübelte ich, ob es der Ätna oder der Vesuv sein könnte und entschied, dass ich keinesfalls in dieser Position stehen bleiben könnte, bis Frau Naja aufwachen würde. Also legte ich mich wieder hin und hatte die besten 1,5 h Schlaf der ganzen Nacht. Diese wurden jäh gestört, als der Schaffner den Kaffee brachte. Aber immerhin, etwas Schlaf und einen italienischen Kaffee! Und dieser Ausblick! Wir fuhren Stunde und Stunde am Meer entlang. Das war einfach schön! Und ich bin so dankbar über diesen Artikel in der Zugpost, der mich überhaupt erst auf die Idee brachte, nach Sizilien mit dem Zug zu fahren!

Frau Naja und ich zogen es am Morgen wie auch schon am vorherigen Abend vor, die Tür unseres Abteils offen zu lassen. Das war geselliger und gut gegen Platzangst. Der nächste Höhepunkt unserer Reise ließ nicht lange auf sich warten. Der Schaffner schaute ungewohnt konzentriert durch unser Abteil und fragte auf italienisch, ob wir die Katze gesehen hätten. Da hat sich Duolingo endlich mal bewährt, denn ich verstand, dass es sich um eine gelbe Katze handelte. Doch die Katze, die aus.dem Nachbarabteil entlaufen war, hatten wir leider auch nicht gesehen. Kaum war die Katze aufgefunden, wurde die italienische Nachbarin auf unserer Rechten so vertraut mit uns, dass sie ihr Telefon bei uns lud. Dank ihres meterlangen Ladekabels war das kein Problem und schon waren zwei Abteile offen. Die deutsche Nachbarin zu unserer Linken fühlte sich daraufhin bei uns eingeladen, um herauszufinden, ob wir empörender Weise auch kein Handtuch und keine Einmal-Pantoffel bekommen hätten, obwohl das doch wohl im Preis inbegriffen wäre. Wir waren not amused über diese aufgezwungene Unterhaltung beim Essen und befürchteten, dass die Frau noch vertraulicher werden könnte und sich zum Essen bei uns einladen würde. Wir hatten zwar noch genügend Gurken und Karotten, aber diese etwas extrovertierte süddeutsche Art war dann doch zu viel für zwei Hamburgerinnen mit zu wenig Schlaf.

Während die Teenager-Gruppe unzählige Male an unserem Abteil von links nach rechts und von rechts nach links an uns vorbei lief, vergingen die weiteren 9 Stunden Zugfahrt fast wie im Flug, den es war atemberaubend schön, entlang des Mittelmeers zu fahren. Alleine das Aufladen der Waggons auf die Fähre nach Sizilien und das anschließende wieder Abladen dauerte viel zu lange. Ich häkelte mich durch die Langeweile, bis ich an die Stelle mit den Reliefmaschen kam und nicht weiter wusste. Mangels funktionierendem Internet konnte ich das auch nicht nachschlagen, also stellte ich mich in den Gang, den marodierenden Teenagern in den Weg und hoffte, dass die Fahrt möglichst schnell fortgesetzt werden würde.

Sizien sah ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte ein paar Reisefilmchen in den Mediatheken und auf YouTube gesehen und natürlich James May in Italien (Netflix), aber in solchen Reisedokumentationen werden nur die Hot Spots gezeigt und nicht die Landschaft dazwischen. Zunächst war ich erstaunt, wie hügelig die Landschaft unmittelbar in Meeresnähe war. Hügel in allen Grüntönen mit etwas eingesprengseltem Gelb von blühendem Busch-vielleicht-Ginster. Dann veränderte sich die Landschaft und die kleineren Städte sahen italienisch aus, aber wesentlich maroder als in den touristischen Filmchen. Besonders beeindruckend wurde es kurz vor Syrakus. Über Kilometer reihte sich eine Industrieruine nach der anderen, ein Paradies für Lost Places-Liebhaber*innen.

Ich genoß es sehr, zum Fenster herauszuschauen und kam aus dem Staunen nicht heraus, obwohl ich genau dies schon seit Stunden tat. Plötzlich gaukelte mir mein Gehirn vor, dass ich Flamingos sehen würde. Das konnte nicht sein, Flamingos gibt es doch nur im Zoo und in Miami Vice und sie sind immer knallrosa. Aber plötzlich rief Frau Naja „Flamingos“ und es entbrannte ein Wettstreit, diese zu fotografieren (siehe oben). Gar nicht so leicht aus dem fahrenden Zug, aber wir sind der festen Überzeugung, dass es uns gelungen ist, Flamingos zu fotografieren. Schon das zweite überraschende Fotomotiv auf unserer Sizielien-Reise nach dem vielen Schnee am Vortag. (Von der gelben Katze gibt es leider kein Foto.)

Am Bahnhof in Siracusa wurden wir netterweise von unserem Vermieter mit dem Auto abgeholt, Er freute sich darüber,dass ich sein Italienisch verstand und ich freute mich auch. Dass wir nach dieser langen Fahrt nicht durch den Regen laufen mussten, um unsere Unterkunft zu finden war schon toll, aber als er sich unsere beiden Rucksäcke schnappte und sie in die 3. Etage trug, waren wir bezaubert. Die Ferienwohnung ist nett und wir erfreuten uns über den Blick aufs Meer. Wenn es hoffentlich morgen aufhört zu regnen, werden wir uns sehr an dem schönen Balkon erfreuen.

Obwohl wir ziemlich erledigt waren, ließen wir die Schuhe an und liefen ein wenig durch die Altstadt unschlüssig, ob wir etwas Essen gehen sollten oder wie in den vergangenen Tagen weiter unser Gemüse mit Käsebrot knabbern sollten. Wir entschieden uns, in einem kleinen Supermarkt Nudeln und irgendwas, was italienisch schmeckt, zu kaufen. Aber so müde, wie wir waren, war es gar nicht so leicht, Produkte auszuwählen. Später kochten wir ein paar schnelle Nudeln mit Pesto, aßen dazu eine der über fast 2000 km von uns transportierten Gurken und das war genau richtig, denn wir hätten uns sowieso für kein Restaurant entscheiden können und ungeduscht waren wir auch noch.

Morgen schauen wir genauer, wo wir nun sind. Es sieht nett aus hier und hoffentlich bleibt es auch bei Sonne so, dass wenig Touristen zu sehen sind. Es ist ein Dilemma, denn wir sind ja auch Touristen. Aber ich kann mir gut vorstellen, wie die Menschenmassen zur Hochsaison durch die engen Gassen lustwandeln. Darauf hätte ich wenig Lust. Aber wir werden sehen, was wir morgen zu sehen bekommen. Und wenn es weiter regnet, dann gehen wir vielleicht in ein Museum oder was auch immer. Uns fällt schon etwas ein.