Als ich vor ziemlich genau einem halben Jahr mit dem Projekt „Radikale Selbstfürsorge“ begann, geschah das aus der Motivation heraus, mich endlich mal mehr um mich selbst zu kümmern, um möglichst lange und gesund zu leben. Die Blutergebnisse und die medizinischen Interventionsvorschläge waren ein abstrakter Schubs. Konkreter war die Idee, einmal „Meike First“ zu denken und herauszufinden, ob die Welt untergehen würde, wenn ich mal nicht mehr in vorauseilendem Gehorsam allen anderen versuchen würde, ein gutes Leben zu bereiten. Das war ein radikaler Gedanke, denn meine weibliche Sozialisation und andere Einflüsse hatten mir vermittelt, dass ich stets diejenige sein sollte, die anderen ausweicht, damit diese ihren geraden Weg gehen können. Es gab zwar eine Phase meines Lebens, in der ich das bewusst nicht mehr tat, aber mit der Mutterschaft hatte ich das vergessen. Nun ist das Kind ein Teenager und ich stellte in den letzten Jahren verwundert fest, dass es nicht mehr die gleiche Fürsorge braucht wie ein Säugling. Es war wirklich höchste Zeit, mal etwas zu ändern. Ich begann damit, mir zu erlauben 2x die Woche Schwimmen zu gehen. Das fühlte sich verwegen an, nur für mich einfach manchmal Arbeit oder familiäre Verpflichtungen zu schwänzen.
Das war das erste Ziel und dann kam die Interrail-Reise nach Italien, die mit zwei vollgepackten Taschen mit Essen begann. In Italien ärgerte ich mich darüber, dass ich so schlecht zu Fuß war. Dann kaufte ich die Siebenmeilenstiefel und begann die Freude am Gehen zu entdecken. Das Gehen an sich ist es nicht. Ich höre Podcasts dabei, werfe hin und wieder einen Blick auf die sich verändernde Natur und blicke am Ende das lobende Feuerwerk erwartend auf die Uhr, die meine Schritte zählt. Das, was mir daran gefällt ist die zurückgewonnene Unabhängigkeit. Ich muss nicht an einer Bushaltestelle stehen und auf das ungewisse Ankommen des Busses warten. Ich kann einfach loslaufen. Das ist wirklich toll und ich staune immer noch darüber, was das für eine Lebensqualität ist. Schon sehr schnell formulierte ich das zweite Ziel: Ich will gut gehen können. Was auch immer gut bedeutet. Ich bin mit mir zur Zeit zufrieden, wenn ich einen Spaziergang von 3 – 4 km gemacht habe. Der Mitbewohner spaziert zur Zeit täglich mehr als 10 km. Angeber. Sehr selten überlege ich mir bewusst eine längere Strecke, es geht mir nicht um mehr und um Training, weil ich davon ausgehe, dass sich das schon ergeben wird. Ich traue mir immer mehr zu und wenn ich auf einer digitalen Karte mir eine Route anschaue, dann habe ich mittlerweile andere Maßstäbe und eine Gefühl dafür, was ich schaffen kann. Das ist gut so. Gleichermaßen ist es auch ein bisschen langweilig und an manchen Tagen gehe ich aus Pflichtgefühl bzw. um den Streak meines Fitnesstrackings nicht zu unterbrechen. Letzte Woche hatte ich ein schönes Gespräch mit der Freundin, die in Italien lebt und da dachte ich mir, dass wenn ich sie nächstes Frühjahr besuchen würde, ich noch mal ein paar Tage nach Rom könnte. Plötzlich hatte ich das Bild vor Augen, wie ich fit durch Rom stiefele und das ist ein schönes Ziel.
Sehr merkwürdig verhielt es sich mit dem dritten Ziel, dass sich vor gut zwei Wochen an mich heranschlich. Als Felix begann über sein Projekt zu bloggen und als ich nahezu zeitgleich meinen Schrank aufräumte, meine langgesuchte Lieblingsjeans wiederfand und feststellen musste, dass sie nun zu groß ist, begann ich davon zu träumen „endlich schlank“ zu werden. Das war tatsächlich in den letzten Monaten nicht mein Ziel. Ich bin viel zu lange Körperakzeptanz-Aktivistin und arbeite seit Jahren mit Menschen unterschiedlichen Körpers, um für diese Lösungen abseits von Körperveränderungen zu finden. Gerade weil ich den allermeisten Büchern steht, dass Gewichtsabnahme eine Bedingung für Gesundheit ist, verweigerte ich dieses Ziel. „Was raten sie mir, wenn es nicht ums Abnehmen geht“, fragte ich den Hausarzt, denn ich hatte absolut nicht vor, diesen Weg zu gehen, an dessen dauerhafte Wirkung ich nicht glaubte. Ich habe in den letzten Monaten zwar anders gegessen, aber dafür unheimlich viel. Ich weiß noch, wie ich am Beginn der Reise selbst darüber staunte, welche Mengen an Lebensmitteln wir mit uns herumschleppten. Das war sinnbildlich für meinen veränderten Umgang mit Essen. Wer nicht einfach schnelle Kohlehydrate im Vorbeigehen kaufen will, muss eben schleppen. Aber das ist ok.
Was ich allerdings nicht ok fand, war meine merkwürdige Reaktion auf die zu große Hose. Ich hatte die Körperveränderung tatsächlich vorher nicht bemerkt, denn ich mache ja keine Diät. Ok, die eine Hose rutschte, aber ich schob es auf den ausgeleierten Gummi. Andere Kleidungsstücke, die ich gerne trage, sind gewickelt oder mit Gummizug. Es ist Sommer da trage ich keine Jeans, wenn ich nicht den Kleiderschrank ausgemistet hätte, hätte ich erst im Herbst gemerkt, dass die Hosen nicht mehr passen. Meine erste Reaktion, als ich zufällt bemerkte, dass sich mein Bauchumfang verringert hatte: Ich wollte es niemand erzählen. Es zeugt von Diätmentalität, sich Lob für eine Reduktion des Körpers zu wünschen. Zweite Reaktion: Ich musste mir eingesehen, wie sehr ich noch in Diätmentalität gefangen bin. Tatsächlich träumte ich nächtelang davon, ein schlanker Mensch zu sein.
Mittlerweile bin ich sogar ein bisschen genervt von den Konsequenzen, denn es bleibt ja nicht bei der Lieblingsjeans. Auch die Bikinihose rutscht und die schicke Hose, die ich erst 2x anhatte und ansonsten für besondere Gelegenheiten schonte, weil sie so schick ist, ist nun auch zu weit. Ich werde mich also mit dem Thema enger nähen beschäftigen müssen. Das ist unspaßiger als es klingt, denn ich weiß schon, dass es nicht damit getan ist, einfach nur die Seitennähte enger zu nähen. Aber noch mehr ärgert mich, dass ich über Abnehmen und Schlank-Sein nachdenke, obwohl ich eigentlich dachte, das alles hinter mir gelassen zu haben. Ich merke, wie das Projekt Radikale Selbstfürsorge zu Konsequenzen führt, die ich am Anfang nicht bedacht hatte, als ich einfach nur alt und gesund werden wollte. Am Anfang habe ich nur über Ernährung nachgedacht, jetzt bin ich mal wieder mit meinem Körper konfrontiert. Und obwohl ich absolut keinen Bock mehr auf das Thema habe, gibt es einen Teil von mir, der dabei hofft, dies auf einer anderen Ebene abarbeiten zu können. Ich habe nach 5 Jahren Üben gelernt zu Kraulen. Wer weiß, was sonst noch alles möglich ist?
@meikesblog danke, dass du das alles so offen teilst.
Ich war in den letzten 6 Wochen (Ferien!) 4 mal Schwimmen. Die Bäderkarte habe ich schon im März besorgt.
Die ersten Schwumme habe ich mich übernommen: 2×20 Minuten – war zuviel. 1×30 Minuten -auch zuviel. Brauche 7 Tage Erholung. Und verbringe jede Verschnaufpause mit Dehnen.
Gestern und heute aufgrund der Hitze Spätschwumm -das Bad ist fast direkt neben dem Büro, das war mir nicht klar. 20 Minuten, heute 25. Alles gut. Nur hungrig
@meikesblog
Morgen gibt es (nach vier Wochen Pause) wieder eine Dosis Wegovy. Mal sehen ob es zusammen mit weiteren geplanten Feierabenschwumms noch mal anzieht. In vier Wochen werde ich mit dem Arzt ein Fazit (nach 1 Jahr) ziehen.
Denn Körperakzeptanz hin oder her: mir tut alles weh. Jeder Schritt. Ich knirsche und knarze. Ich brauche Bewegung, und Stretching (und viel weniger Essen als meine stressgeplagte Amygdala glaubt und dabei hilft Semaglutid mir bisher ganz gut).
@bleistifterin @meikesblog Körperakzeptanz schließt in meinen Augen ein, dass es dir gut geht. Zipperlein kommen im Alter noch genug. Ich finde schon, dass es unbedingt ein Ziel ist, das Leben weitesgehend schmerzfrei zu leben und wenn es weh tut, dann ist es total prima, was zu ändern. Das einzige Bedenken das ich habe, ist die Nachhaltigkeit, weil Jo-Jo so schlimm ist.
@meikerenschbergner @meikesblog ja. Jojo ist scheiße
Das ist halt das, wovor ich Angst habe und deswegen versuche ich den „ganzheitlichen Ansatz“. Ich hoffe sehr, dass sich das auf Dauer trägt.
@bleistifterin @meikesblog oh wie toll, Bad neben dem Büro! Einfach weiter machen und nur so viel, wie es geht. Denk dabei an mich: Ich kraule langsamer, als die meisten Menschen Brust schwimmen. Vergleiche sind Bullshit, Es geht darum das eigene Maß zu finden.
@meikerenschbergner @meikesblog ja klar. Vergleich macht unglücklich. Kann aber auch anspornen: ich habe mir das Ziel gesetzt, die Abzeichen zu schaffen, die Junior (9) in den letzten 3 Jahren im Schwimmverein erworben hat. Als erstes also Bronze.
Nach nur vier mal Schwimmen schaffe ich jetzt schon wieder eine volle Bahn im 3er Atemrhythmus Kraul, das wird jetzt immer besser werden. Zwischendehnen war gestern nicht mehr nötig. Im Moment möchte ich Ausdauer, Tempo kommt automatisch
Ansporn ist ja auch etwas anderes, als Vergleichen, mit dem man sich schlecht fühlt. Super, dass es jetzt schon besser geht. Ich schwimme ja auch auf Ausdauer und deswegen verausgabe ich mich nicht. Ich hoffe irgendwann mal einen erneuten Kraulkurs oder ein Training zu machen, das mir zeigt, wie ich noch besser schwimmen kann, damit es schneller wird. Aber im Moment geht es mir einfach um Freude und Genuß am Schwimmen und das habe ich auf diese Weise. Dass ich dabei fitter geworden bin, kam ganz nebenher.