Aus mancherlei Gründen ergab es sich heute, dass ich mir ein paar neue Schuhe kaufte. In dieses Fachgeschäft für Schuhe für schwierige Füße wollte ich ohnehin schon länger mal. Es nervt einfach, dass ich zwar viele Schuhe besitze, aber das hauptsächlich aus dem Grund, dass es sich immer wieder herausstellt, dass die Schuhe irgendwie nicht richtig sind. Ein Grund dafür, dass ich seit der Pandemie so lauffaul geworden bin, sind die ewig schmerzenden Füße.

Auf der Reise sind wir – auch mit schmerzenden Füßen – sehr viel gegangen. Seitdem ich diese Uhr trage, schaue ich manchmal (ok öfter) wie weit ich gelaufen bin und erfreue mich an der Anzahl der Schritte bzw. der gegangenen Kilometer. (Ich bin einfach zu haben und hätte das tatsächlich bevor ich die Uhr ausprobierte nicht geglaubt.) Die Reisebegleiterin fand das ebenso faszinierend und so begannen wir damit täglich, unsere Wege quantitativ zu erfassen und oftmals über die Zahlen zu staunen. Im Urlaub ist es aber auch anders, als im Alltag. Das Gehen war Teil des Programms- wir haben uns die Orte erlaufen. Im Alltag will ich immer nur möglichst schnell von A nach B.

Gestern ging ich eine Strecke in Schuhen, die ich ganz gerne mag und bemerkte, dass ich diese ganz von selbst viel schneller lief, als ein paar Tage zu vor. Da hatte ich vorher definitiv die falschen Schuhe an. Auf dem Hinweg gestern, mit den gutgefederten Sneakern an den Füßen, überholte ich sogar Menschen – das freute mich, denn in den letzten Jahren ist es mir schon häufiger passiert, dass ich von flotten älteren Damen überholt wurde und das fühlte sich wirklich nicht gut an. Zuhause angekommen versuchte ich die Statistiken der Uhr genauer zu ergründen. In der Tat, ich war signifikant schneller als zwei Tage zuvor auf der gleichen Strecke und das lag ganz sicherlich nicht nur daran, dass ich wegen der Heuschnupfentablette so sehr müde war. Es lag an den Schuhen. Die gleichen Schuhe hatte ich auch auf der Reise dabei und seitdem ich hier auf gepflegten Wegen statt auf dem süditalienischem unebenmäßigem Pflaster gehe, finde ich das sowieso irgendwie easy. Die Schuhe haben eine gute Dämpfung, aber kein Fußbett. Aber im Vergleich zu italienischem Pflaster läuft es sich damit hier sehr gut.

Heute war ich unterwegs, um die Reisebegleiterin zu treffen und ich hatte vorher schon gesehen, dass nicht weit entfernt dieses Schuhfachgeschäft ist. Ich zog es also in Erwägung, da mal reinzuschauen, um herauszufinden, ob es da mehr, als nur Omaschuhe gibt. Unterwegs stand der Bus im Stau. Zahlreiche Fußgänger*innen waren schneller als der Bus – aussteigen durfte man natürlich zwischen den Haltestellen nicht. In mir stieg der Wunsch auf, vom ÖPNV unabhängig zu werden. Damals, als das Teenagerkind noch klein war, bin ich mit dem Kinderwagen kilometerlang von Stadtteil zu Stadtteil gelaufen.

Durchaus kaufwillig betrat ich also nun das Schuhgeschäft und war von dessen Größe und Auswahl erstaunt. Huii, es gab durchaus unhässliche Schuhe. Es gab zwar keine Schuhe, die spontan ein Haben-Wollen-Gefühl bei mir auslösten, aber es gab viel Auswahl und dann gab es diese Verkäuferin. Ich glaube, ich habe schon seit zig Jahren nicht mehr erlebt, in einem Geschäft von jemand wirklich kompetenten, in aller Ruhe beraten zu werden. Ich schilderte ihr meinen Wunsch, regelmäßig längere Strecken in der Stadt zu laufen und machte es ihr leicht, in dem ich sagte, dass ich erst einmal keinerlei optische Vorlieben hätte, sondern gerne herausfinden würde, was möglich sei. Sie schleppte daraufhin ungefähr 10 Paar Schuhe an, die sich von der guten Passform her nur graduell unterschieden und alle 1000 mal besser an meine Füße passten, als alle Schuhe, die ich in den letzten Jahrzehnten anprobiert hatte. Krass! Die meisten Schuhe, die sie mir brachte, waren ziemlich hässlich, aber sie meinte, sie hätte jetzt erstmal nicht auf die Farben geachtet. Das machte mir Hoffnung.

Ich entschied mich dann für ein paar in meinen Augen „namenlose“ Sneaker (wir sind ja sehr daran gewöhnt, bei Turnschuhen in Marken zu denken), die sie statt in fleischwurstfarben-beige glücklicherweise auch in weiß vorrätig hatte. Mit der Reisebegleiterin hatte ich mich anschließend verquatscht, so dass es zu spät wurde, noch in Schwimmbad zu gehen, aber das nahm ich locker und beschloss statt mit dem Bus zu fahren, nachhause zu laufen.

Letzte Woche war ich schon mal diese Strecke gegangen, weil es aussichtslos schien, zügig mit dem Bus nachhause zu kommen. Einen Bus hatte ich fahren lassen, weil er mir zu voll war, die andere Buslinie, die einen kürzeren Weg fährt, aber seltener kommt, fuhr an diesem Tag gar nicht. Ich wartete eine gute Viertelstunde, kein Bus kam. Währenddessen nervte ein sehr betrunkener Mann, der es mir unmöglichmachte, trotz Noise-Cancelling-Kopfhörern konzentriert meinem Podcast zu folgen. Also beschloss ich nachhause zu gehen. Mein Mann geht ja seit den Lockdowns täglich spazieren und ihm gehen langsam die Strecken aus, weil sie ihm nicht langgenug sind. Ich war stets beeindruckt, wenn er mich von diesem Bahnhof, wo ich nun schon mehr als 20 Minuten genervt stand abholte, wenn ich von Reisen zurückkehrte. Das ist nicht nur nett, es erschien mir auch wie eine ziemlich weite Strecke um diese zu gehen, statt den Bus zu nehmen. Als ich diese Strecke also letzte Woche ging, nur um dem betrunkenen Typen zu entkommen, war ich dann doch erstaunt, wie flott ich zuhause war. Es waren nur 40 Minuten, obwohl es bergauf geht. Vermutlich geht mein Mann den gleichen Weg in der halben Zeit, aber ich war tatsächlich ein bisschen euphorisch, den Weg überhaupt nach einem doofen Arbeitstag geschafft zu haben und das auch nicht wirlklich anstrengend zu finden. Nur die Füße schmerzten, aber das kenne ich ja.

Jetzt habe ich mir also heute mittelhässliche Siebenmeilenstiefel gekauft und träume von der möglichen Freiheit, die ich mir von ihnen erhoffe. Als ich heute den 40minütigen Weg in den neuen Schuhen ging, gestand ich mir ein, wie sehr es mich in den letzten Jahren beeinträchtig hatte, gehmäßig nicht mehr mithalten zu können. Es hat mich älter gemacht, abhängig vom ÖPNV und beschämt. Hinzu kam ja auch noch, dass ich vor 2 Jahren einen doofen Fahrradunfall hatte und seitdem nicht mehr gefahren bin. Das Rad war noch ziemlich neu und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie frei ich mich gefühlt hatte, als ich endlich wieder ein gutes Fahrrad hatte. Aber seit dem ich bei dem Unfall auf die vierspurige Straße gefallen bin und großes Glück hatte, dass nichts Schlimmeres passiert ist, bin ich verschreckt. Ich wünsche mir zwar, mal wieder zu fahren (und dass mir mal ein Familienmitglied das Geschenk macht in den Keller zu gehen, das Rad aufpumpt, alles kontrolliert und damit frühlingsfrisch zu machen), aber mir ist schon klar, dass ich damit nicht mehr ins Büro fahren will. Es ist mir zu gefährlich quer durch die Stadt zu fahren, wenn ich in Eile, unkonzentriert oder überarbeitet bin. Ansonsten habe ich nicht viel Strecke zu machen und wenig Zeit. Aber es wäre ja zum Beispiel toll, damit ins Freibad zu fahren.

Das Fahrrad scheint aktuell nicht von selbst heile zu werden, aber jetzt habe ich meine Siebenmeilenstiefel und träume davon, wieder längere Strecken zu gehen. Es wäre wirklich nett, nach der Arbeit zu gehen, statt mich über den Bus zu ärgern. Noch viel toller wäre es, wenn ich noch mehr Lust hätte, Dinge zu unternehmen, statt Ausreden zu suchen, weil es anstrengend werden könnte. Die Scham ist ja so ein furchtbares Gefühl, die Scham nicht normal zu sein, nicht mithalten zu können ist schwer zu ertragen. Und wenn ich auch nicht mehr 20 bin, so bin ich doch auch noch keine alte Frau. Ich hoffe sehr, dass sich meine Hoffnungen mit den Siebenmeilenstiefeln erfüllen. Vielleicht sind sie noch nicht die perfekte Lösung für höhere Temperaturen, aber jetzt weiß ich ja, wo ich ein Fachgeschäft finde. Und morgen kommt der Mann von einer Reise zurück, da schmeiß ich mich in die Siebenmeilenstiefel und hole ihn vom Bahnhof ab. Der Hinweg geht bergab und den Rückwerg werde ich schon auch noch schaffen!