Palermo, ich habe dir unrecht getan! Zuerst, tat ich mich schwer, dich gut zu finden, aber jetzt finde ich es schade, dass wir morgen Abend schon wieder abreisen. Wir haben dich einfach nur von der falschen Seite gesehen. Aber fangen wir von vorne an.

Heute morgen wachte ich schon wieder aus einem interessantem Traum auf. Diesmal träumte ich, dass ich bei einem Vortrag eines meiner Professoren von Damals war. Ich mochte diesen nerdigen Professor sehr und studierte bei ihm insbesondere Wirtschaftsgeschichte. Besonders gerne mochte ich, wenn er am Ende jeder Vorlesung sagte „lassen sie mich noch schnell den mathematischen Beweis zeigen“ und dann 3 Tafeln voll mit kleinsten Zahlen in Sekundenschnelle beschrieb. Im Traum hielt er einen Vortrag über mein damaliges Prüfungsthema bei ihm „Das Wirtschaften in der Antike“. Ich nehme an, dass ich durch das Stichwort „Pater familias“, dass mir in dem Buch von gestern begegnete, an mein Lernen für die Prüfung erinnert wurde und deswegen von dem Professor träumte. Jedenfalls wachte ich mit der Idee auf, dass ich doch Lust hätte, am Mittwoch oder Donnerstag nach Pompeji oder Herkunaleum zu fahren. Why not – was wir genau zwischen Neapel und Rom vorhaben ist nur dahingehend geplant, dass wir eine Nacht in Sorrent schlafen. Es wäre möglich.

Der Tag begann mit einer guten Neuigkeit. Natürlich wäre es möglich gewesen, unser Schiffticket irgendwo in einem Copyshop auszudrucken. Es wäre auch eine gute Gelegenheit gewesen, auf der Suche nach einem Copyshop mal in ganz andere Teile der Stadt zu fahren. Aber ich dachte, es wäre vielleicht auch eine gute Möglichkeit, einfach bei der Reederei anzurufen, nachdem diese zwar auf unsere Anfrage per Mail geantwortet hatten – allerdings das Falsche. Wir hatten geschrieben, dass wir das Papierticket verloren hätten. Das stimmte nicht ganz, denn wir hatten es schlichtweg vergessen auszudrucken, aber so war es einfacher zu erklären. Daraufhin schickten sie uns noch mal das digitale Ticket, was wir durchaus hatten. Lieb gemeint. Also nahm ich meinen Mut zusammen und telefonierte mit der Service-Dame der Reederei. Sie versicherte mir, dass ein digitales Ticket reicht und dass ich doch bestimmt „Name.Vorname meiner Reisebegleiterin“ sei, denn sie hätte uns heute morgen schon gemailt. Also gut, sie kennen uns und weil sie 2x versicherte, dass sie glaubt, dass das digitale Ticket reicht, glauben wir es nun auch und machten neue Pläne für den Tag.

Nach dem morgendlichen Müsli zogen wir mit dem Vorsatz los, ein zweites Frühstück in der netten Bäckerei um die Ecke einzunehmen. Es war nett und frisch gestärkt gingen wir weiter zur Kathedrale. Das Äußere der Kathedrale hatten wir schon ausführlich bestaunt, denn es ist wirklich bemerkenswert, die unterschiedlichen Baustile der Normannen und den Alhambraeinfluss zu sehen. Das Innere der Kirche hatten wir am Samstag Abend nur ganz kurz betreten, denn dort fand gerade eine Messe statt. Heute wollten wir also mal den Innenraum anschauen. Dieser sah aus, wie so eine italienische große Kirche nun mal aussah. Es war weitaus langweiliger als von außen. Aus diesem Grund konnten wir uns dann auch nicht dazu motivieren Tickets für das Dach der Kathedrale zu kaufen. Ja, man hätte da hübsch rumgehen können und bestimmt auch einen netten Blick auf Palermo gehabt, aber uns war nicht danach.

Weiter ging es Richtung Botanischer Garten. Auf dem Weg wollten wir noch einen anderen, den größten Markt von Palermo sehen. Der Ballarò Markt hat uns gar nicht gefallen. Er war zwar nicht so überlaufen, wie der Markt am Vortag, aber er war einfach nicht ansprechend. Wir wurden zwar oft angesprochen, ob wir nicht etwas essen wollten, weil wir das Seafood wieder so interessiert betrachteten, aber diese Masche geht bei uns nach hinten los. Je intensiver wir angesprochen werden, umso weniger wollen wir. Am liebsten hätten wir ein T-Shirt mit dem Spruch „vergiss es einfach, sprich mich nicht an“.

Um uns auf dem Weg weiter zu orientieren, brauchten wir eine Bank. Ein Platz zum Hinsetzen war gar nicht so leicht zu finden. Als wir am Bahnhof vorbei kamen, kamen wir tatsächlich auf die Idee, in den Bahnhof zu gehen, um etwas Ruhe zu finden (obwohl uns eigentlich schon klar war, dass ein Bahnhof in den seltensten Fällen ein ruhiger Ort ist). Aber mittlerweile taten die Füße schon wieder so weh, dass wir dringend eine Pause brauchten.

Auf der Karte sahen wir, dass der Botanische Garten gar nicht weit entfernt war. Auf dem Weg dorthin kamen wir an einer ansprechenden Bäckerei vorbei und versorgten uns mit Backwaren, denn ich hatte Panik, wieder in so einen 3-Uhr-Hunger zu geraten, wie am Vortag. Leider entschieden wir uns für den falschen Eingang am Botanischen Garten, so dass wir länger zu laufen hatten und umdrehen mussten. Also liefen wir ein halbes Mal um den Park herum, um dann festzustellen, dass es Eintritt kostet. Wir waren wieder einmal total geschafft und wussten, dass wir gar nicht die geistige Kapazität hatten, unterschiedliche Pflanzen zu würdigen, also nutzen wir den anderen Park dahinter ohne Eintritt, um auf einer Bank zu sitzen, Backwaren zu essen, Pistazien zu knabbern und die Füße zu lüften. Von der Ferne konnten wir das Meer sehen, das reizte uns mehr als olle Pflanzen. Als wir wieder bereit zum Laufen waren, gingen wir der Promenade entgegen.

Schon von Weitem konnten wir sehen, dass das Meer ordentlich Seegang hatte und in großen Wellen am Ufer aufschlug. Wir beobachteten einen Schlepper und ein Kriegsschiff, wie sie doch sehr auf den Wellen schaukelten und hoffen nun, dass sich der Seegang bis morgen Abend etwas legt, wenn wir auf das Schiff nach Neapel steigen. Der Spaziergang an der Promenade war sonnig und windig und leider gab es kein Café weit und breit. Wir brauchten dringend eine Toillette und einen Kaffee. Das nächste Lokal war ein Eiscafé und da wir auf unserer Bucketlist noch kein Eis bisher abhaken konnten, musste es dieses sein. Obwohl wir an einer großen Straße saßen, war ich nach dem Kaffee und dem Eis so entspannt, dass ich tatsächlich im Café im Sitzen einschlief, während meine Reisebegleiterin mal wieder ihr Mobiltelefon in der Hand hielt.

Frisch gestärkt beschlossen wir es uns nun einfach zu machen und die Fußgängerzone Richtung Kathedrale hochzulaufen, die wir bisher aufgrund der großen Anzahl an Personen gemieden hatten. Wir kamen erstaunlich schnell voran und erreichten in Windeseile den Platz mit den 4 Ecken, den wir gerne noch mal anschauen wollten, weil er uns gestern zu voll war. Das war ungefähr der Moment, in dem uns dämmerte, dass die Altstadt von Palermo wesentlich kleiner war, als wir dachten. Weil es am gestrigen Sonntag überall so voll und laut waren, dass wir auf Seitenstraßen auswichen und weil ich mich ein wenig faul darauf verlassen hatte, dass Frau Naja mich navigieren würde und weil Frau Naja aber oftmals auch schon sehr erschöpft war und vermutlich nicht immer das Telefon richtig rum hielt, sind wir sehr verschlungene Wege gegangen und dabei in sehr seltsamen Straßen gelandet die nicht auf dem kürzesten Weg zum nächsten Ziel führten.

Auf der Fußgängerzone lief es sich aber dank freundlichem Bodenbelag gut, wir wechselten auf eine weitere Fußgängerzone und ab da wurde es auf einmal nett. Links und rechts gab es auf plötzlich ganz normale Bekleidungs- und Schuhgeschäfte und nicht mehr nur den üblichen Touristenkram. Der Bodenbelag war gut, es liefen nicht mehr so viele Menschen um uns herum und auch das Personal vor der Tür lockte nicht mehr so aufdringlich. Als wir in eine Seitenstraße einbogen, wurde es noch besser. Palermo sah auf einmal richtig hübsch aus!

Und dann standen wir vor einem Stoffgeschäft. Ich hatte im Laufe des Tages schon überlegt, ob ich mir nicht doch eine Tischdecke mit dem sizilianischen Zitronenmuster kaufen sollte in Ermangelung von Meterware an Bekleidungsstoff, um darauf ein Sommertop zu nähen. Ich hatte schon gar nicht mehr mit ordentlichen Stoffen gerechnet. Und dann landeten wir aus Versehen in der „Stoff-Gasse“. Ich hatte im Vorfeld der Reise schon gelesen, dass es in Palermo Gassen mit jeweils einem Gewerk geben sollte (Töpfe, Besen oder was weiß ich), aber diese Gassen hatten wir noch nicht gefunden und dass wir ausgerechnet in der Schneiderei-Gasse gelandet waren, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Glücklich betrat ich das Stoffgeschäft und war von der Auswahl in dem kleinen, unübersichtlichen Laden erschlagen. Es sah zunächst so aus, als gäbe es dort nichts, was mir gefallen könnte. Ein Stoff sah interessant aus, war aber aus Polyester. Also frage ich auf Verdacht nach Viskose. Die Verkäuferin meinte, davon hätte sie nicht so viel und zog zwei Ballen aus den vollen Regalen. Der erste Stoff war hässlich und der zweite wunderschön. Als sie mir den Stoff abschnitt kamen wir ins Gespräch und sie staunte über mein gutes Italienisch – allerdings habe ich den Rest der längeren Geschichte, den sie daraufhin erzählte, nicht verstanden außer, dass es um irgendwelche deutschen Könige ging. (Frau Naja, sagt gerade, dass die Stoffhändlerin von Friedricht II. gesprochen hat, als sie erfuhr, dass wir Deutsche wären, denn der wäre dort in der Kathedrale begraben. Sie liest gerade mal nach, was es über die Kathedrale Interessantes gibt.)

Kaum hatte ich glücklich meinen neue erworbenen Stoff in meine Tasche gepackt erkannten wir, dass es in dieser Straße noch viel mehr Stoffgeschäfte gibt. Die meisten Läden hatten Heimtextilien. Das ist für mich nicht interessant. Es gab allerdings noch einen Laden, der mir hätte sehr gefährlich werden können. Alles nur sehr feine Bekleidungsstoffe und ältere Herren, die aussahen wie Maßschneider. Schnell wieder raus. Ich wollte nicht viel Geld ausgeben, nicht viel mehr Gepäck als notwendig haben und vor allen Dingen auch nicht den schönen Stoff, den ich nur wenige Minuten vorher gekauft hatte, entwerten.

Dass wir durch Zufall die „Stoff-Gasse“ gefunden hatten, machte mich froh und ich begann, Palermo viel wohlwollender zu betrachten. Wieder stellten wir fest, dass es in diesem Teil von Palermo viel angenehmer war: es war sauberer, es war nicht so laut und voll – und dann stellten wir fest, dass das genau das Viertel war, in dem unsere Ferienwohnung liegt. Wir hatten schlichtweg in den letzten Tagen, Palermo stets von der falschen Seite betrachtet. Erst waren wir durch die müllige Gegend zu unserer Ferienwohnung gelaufen und dann erwischten wir ausgerechnet den überlaufenen Sonntag, um die fremde Stadt zu erkunden! Wie anders wäre unsere Palermo-Entdeckungsgeschichte verlaufen, wären wir von der gepflegten Seite aus in die Straße unsere Wohnung gelaufen und wäre unser erster Tag nicht ausgerechnet an einem Wochenende gewesen!

Es war nicht mehr weit zu dem Kiosk, den wir am ersten Abend entdeckt hatten und an dem wir ja noch unbedingt einen Aperol-Spritz trinken wollten. Als wir dort saßen, fragten wir uns, warum wir das am Abend zuvor nicht getan hatten. Der hübsche Platz, der hübsche Kiosk, der günstige Spritz – so ein Ort ruft doch geradezu danach, dort jeden Abend zu sitzen. Aber am ersten Abend waren wir zu beschäftigt mit Ankommen, am zweiten Tag hatte der Kiosk wohl zu, weil Sonntag war und heute ist leider schon unser letzter Abend in Palermo, denn morgen Abend geht es ja aufs Schiff. In meinem mittlerweile schamlos falschen aber fließendem Italienisch fragte ich nach, wie denn die Öffnungszeiten des Kiosks wären. Ach, kein Problem, er hat von morgens um 5 Uhr bis abends um 8 Uhr geöffnet. Ich vermute, wir werden morgen noch mal Gelegenheit finden, dort vorbei zu schauen, denn nun wurde uns auch klar, dass wir die Gegend „rund um unser Zuhause“ noch gar nicht wie geplant genauer inspiziert hatten.

Nach dem Spritz liefen wir noch mal Richtung Kathedrale, weil es dort „Trümmer unter einer Art Gewächshaus“ zu sehen gab. Dort gab es sogar hübsche Mosaike mit Fischen, diese waren aber schwer zu fotografieren, weil das schräge Glasdach voller Wasserflecken war.

Auf dem Weg kamen wir an einem öffentlichen Bücherschrank vorbei. Obwohl ich nicht alle Worte auf dem Pappschild lesen konnte, nahm ich fest an, dass es sich um das gleiche Prinzip wie bei uns handelt. Das erste Wort war groß und deutlich „gratuiti“ und das klingt schon sehr nach „gratis“. Ich überlegte, ob ich eine Kochbuch für vegetarische, sizilianische Gerichte mitnehmen sollte, da kam ein ca. 12 jähriger Junge und verlangte 5 € von mir. Ich sagte „no“ und zeigte auf das Schild, doch er bestand darauf, von mir Geld zu nehmen. Es ging eine Weile hin und her, schließlich verlangte der freche Kerl nur noch 3 €, aber ich weigerte mich standhaft. Er nahm das Schild weg und warf es nebenan auf den Müll und war verdammt sauer, dass ich nicht auf ihn reingefallen war. Ich war empört, aber stolz, nicht nachgegeben zu haben.

Zuhause haben wir dann wieder ein paar Nudeln gekocht. Wir haben mehrere Sorten Käse in Palermo gekauft, die allesamt scheußlich schmecken. Da sind wir mit Nudeln mit Pesto auf der sicheren Seite. Zum Nachtisch gab es wieder eine köstliche Orange. Nachdem meine Reisebegleiterin nun auch meine Familiengeschichte rund um Zitrusfrüchte kennt, erzähle ich sie euch auch: Ein Elternteil schält eine Orange und bietet sie dem Nachwuchs an, der ablehnt und erst nach der Aufforderung „Mir zu Liebe“ das Obst ist – in meiner Familie wird dann nur noch kurz „Hier – Liebe!“ gesagt und klar ist, was geschehen soll. Frau Naja isst nun auch ganz brav die von mir geschälte Orange.

Während ich schreibe, recherchiert meine Reisebegleiterin hoffentlich schon nach Luggage Storage hier in der Gegend. Wir haben zwar schon eine Möglichkeit in der Nähe des Hafens gefunden, aber nachdem wir uns in das Viertel hier verliebt haben, wäre es eigentlich netter, die Rucksäcke erst einmal hier abzustellen und sie erst Abends auszulösen, um sie mit zum Schiff zu nehmen. So könnten wir hier noch mal in Ruhe nach den Murals suchen, am netten Kiosk sitzen und ein paar Tintenfischärmchen knabbern wollte ich auf jeden Fall auch noch, bevor wir die Insel verlassen … Falls nicht, dann gehts halt doch erstmal an den Hafen und wieder den Berg rauf. Wir haben genug Zeit. Um 11 Uhr müssen wir die Wohnung verlassen und auf dem Schiff erst um 18 Uhr einchecken. Jetzt muss ich ins Bett oder noch einen Tee kochen, denn es ist auf einmal sehr kalt hier. Aber vielleicht sind wir auch einfach nur mal wieder rechtschaffen müde nach unzähligen gelaufenen Schritten.