Das war ein herrlicher Freibadsommer. So oft war ich seit meiner Teenagerzeit nicht mehr im Freibad. Damals war ich in U. verliebt. Ein Schwimmer. Ich erinnere mich daran, dass wir den ganzen Sommer im Freibad verbrachten. Ums Schwimmen ging es damals allerdings weniger. Ich war fasziniert davon, wie ein vom Schwimmen trainierter Männer-Körper aussehen konnte. Das mag ich auch heute noch. Was aber noch viel mehr zählt, ist ungestört Bahnen ziehen zu können und dabei die Gedanken schweifen zu lassen. Diesen Sommer habe ich das so oft getan, wie noch nie.
In Hamburg öffnen die Freibäder immer erst Wochen später, als im Rest der Republik. Ich bin immer ganz neidisch wenn ich höre, dass es an anderen Orten schon Anfang Mai möglich ist, draußen zu schwimmen. Ok, wir haben Ganzjahresfreibäder. Gar nicht so weit von meinem Büro entfernt gibt es ein Hallenbad mit einem beheizten Becken draußen. Manchmal schwimme ich dort im Winter. Es gefällt mir, wenn es über dem Wasser dampft, weil das Wasser wärmer ist, als die Luft. Aber wenn es so kalt ist, verspannen sich leicht meine Schultern und ich kann nicht länger als 20 Minuten draußen in der Kälte schwimmen. Das reicht mir nicht.
Sehnsüchtig warte ich jedes Jahr darauf, dass verkündet wird, wann die richtigen Freibäder öffnen. Stets wird ein Geheimnis darum gemacht. Die Regionalnachrichten verkünden irgendwann, dass die Öffnung kurz bevor steht und schon alles aufgeräumt und vorbereitet ist. Doch darauf falle ich nicht mehr rein, denn diese Information bedeutet nichts Konkretes. Alle paar Tage besuche ich die Website, um den ersten Öffnungstag nicht zu verpassen.
Spätestens zum Beginn der Sommerferien wird geöffnet. Wenn man Glück hat, zwei Wochen vorher. So lange noch keine Schulferien sind, gehe ich auch hin und wieder bei gutem Wetter, sonst bevorzuge ich es, wenn die Temperaturen um die 20 Grad sind. Wolken, Regen und Wind stören mich nicht. Hauptsache die Bahnen sind frei. Ich mag es, dass es noch andere Menschen gibt, die genau das wie ich dieses Wetter zum Schwimmen bevorzugen, auch wenn es natürlich großartig ist, ein Becken ganz für sich alleine zu haben. Obwohl wir fast gar nicht miteinander sprechen, ist es eine eingeschworene Gemeinschaft.
Der Juli war kalt, dieses Jahr. Ich konnte oft schwimmen. Irgendwann beschloss ich, nicht mehr genervt zu sein, wenn der Nichtschwimmer*innenbereich mit der Kugelkette abgesperrt war. Ich stellte die Bahnlänge auf der Uhr auf 35 m und genoß es, dass ich nicht in abgesperrten Bahnen schwimmen musste. Wir, die paar Leutchen, die auch bei schlechtem Wetter schwammen, arrangierten uns schon irgendwie. es war herrlich.
Im August wurde es wärmer. Als es heiß wurde, war ich ratlos, was ich tun sollte. Sollte ich es mal versuchen, wie normale Menschen an einem heißen Sommertag ins Freibad zu gehen. Der erste Versuch war an meinem für das Schwimmen reservierten Wochentag. Wie gewohnt brach ich pünktlich zum Freibad auf, um zur Öffnung um 11 Uhr durch die Kasse zu gehen. Als ich parkte, gab es bereits eine lange Schlange. Aufgrund der angekündigten Temperaturen von über 30 Grad, hatten noch andere Menschen die Idee, ins Freibad zu gehen. Ich musste eine halbe Stunde anstehen, denn die Freizeit-Freibad-Besucher*innnen hatten natürlich nicht das passende Geld oder eine Dauerkarte parat. Das Schwimmen war trotzdem schön. Natürlich macht es mehr Spaß bei Sonnenschein zu schwimmen, wenn das Wasser türkis glitzert.
Als der nächste heiße Tag angekündigt wurde, beschloss ich tatsächlich mal ins Freibad zu gehen, wie andere Menschen. Statt nur das übliche Schwimmzeug zu packen, nahm ich ein Buch mit und freute mich auf Freibad-Pommes. Das war gar nicht so schlecht. Da ich früh da war, konnte ich eine gute halbe Stunde schwimmen, bevor es zu voll wurde. Das war schön. Es war auch schön, im Schatten zu lesen und mich an der Körpervielfalt zu erfreuen.
Ebenso wie der Beginn der Saison liegt das Ende im Ungewissen. Immer wieder musste ich die Schwimmmeister*innen fragen, wie lange noch geöffnet wäre und bekam sehr unterschiedliche Antworten. Ich nehme an, sie wussten es auch nicht. Anscheinend wird das sehr kurzfristig entschieden. Je mehr sich das Ende der Sommerferien näherte um so wahrscheinlicher wurde die baldige Schliessung. Bei jedem Schwimm fragte ich mich, ob das der Letzte für dieses Jahr sein würde. Doch ich wurde überrascht. Immer wieder gab es Hoffnung, dass es noch eine Woche und noch eine Woche länger gehen würde.
Als dann das finale Schließdatum fest stand, versuchte ich jeden Tag Zeit freie Zeit freizuschaufeln, um mich schwimmend vom Sommer verabschieden zu können. Die letzten Freibadbesuche waren wunderbar. Alle, die trotz des unwirtlichen Wetters da waren, grüßten sich und versicherten einander, wie wunderbar es war.
Am letzten Tag war es sehr windig. Gelbe Blätter wirbelten über dem Chlorwasser. Es war wie immer eine Überwindung in das kalte Wasser zu gehen. Luft- und Wassertemperatur lagen bei unter 20 Grad. Die kalten Spätsommernächte hatten das Wasser im Becken schon stark abgekühlt. Bei den ersten Schwimmzügen frage ich mich immer, ob das nicht eine bekloppte Idee war. Warum muss ich unbedingt in der Kälte schwimmen, statt wie früher das Freibad einfach als Sommmer-Ort für schöne Tage zu nutzen. Doch nach eine halben Bahn ist es nicht mehr schlimm und wenig später wird es wunderbar. Seit dem ich entdeckt habe, dass es gar nicht so übel ist, nach dem Schwimmen dort heiß zu duschen, friere ich auch nach der guten Stunde im Eiswasser nicht mehr den Rest des Tages.
Am Ende des Sommers hatte ich dann auch noch entdeckt, wie einfach es ist, mit dem ÖPNV vom Büro ins Freibad zu fahren. Ich hatte immer gedacht, es läge im Nirgendwo, weil ich jahrelang immer nur den einen Weg kannte, dorthin zu gelangen. Als ich herausfand, wie schön es ist, durch die Felder zur Bushaltestelle zu laufen, liebte ich das Freibad noch ein bisschen mehr. Und als am letzten Tag die Frau an der Kasse sich freute, noch mal alle Stammgäste zu sehen und mich als eine Solche bezeichnete freute mich mich auch. „Bis nächstes Jahr!“ riefen sich alle zu. Die meisten Schlecht-Wetter-Schwimmer*innen sind weitaus älter als ich, denn wer hat schon vormittags um 11 Uhr Zeit für ein paar Bahnen. Hoffentlich sehen wir uns alle nächstes Jahr frisch und munter wieder, wenn die Bäder nach dem langen norddeutschem Winter endlich wieder öffnen.