Angeregt durch den Beitrag „milde adipositas“ von Felix/ @ix , schreibe ich nun doch mal über ein Thema, das mich seit Anfang des Jahres beschäftigt: eine Diabetes-Diagnose.

Schon Ende letzten Jahres hatte ich einen Termin in der Hausarztpraxis. Ich traf dort zum ersten Mal eine junge Ärztin, die nach einem kurzen Blick auf meine Blutergebnisse verkündete sie mir, dass ich ab sofort 3 Medikamente „gegen Blutdruck und so weiter“ nehmen müsse. Außerdem solle ich abnehmen. Ich war zum Termin, weil ich seit Jahren meine Schilddrüsenwerte kontrollieren lasse. Bisher lief das so, dass ich Blut abgenommen bekam und dann ein Rezept in der jedes Mal gleichen Dosierung meines Schilddrüsenmedikaments. Über die Blutwerte gesprochen hatte mit mir in den vergangenen 20 Jahren in dieser Praxis niemand außer zu dem Zeitpunkt, als ich schwanger werden wollte und selbst nachfragte. Ich war fühlte mich total überrumpelt von der unvermittelten „Diagnose“ und Verschreibung. Mir wurde nichts erklärt, sondern gesagt, dass wäre halt in meinem Alter und bei meinem Gewicht so. Daraufhin stand ich auf und ging ohne das Rezept.

Nach dem ich dieses Gespräch erst ein paar Wochen verdrängt hatte, entschied ich mich dazu, einen neuen Termin in dieser Praxis zu vereinbaren mit der Bitte, einen der anderen Ärzte im Team zu sprechen. Die Ärztin bei der ich zuletzt war, ist seit 2 Jahren in Rente. Ich fand, dass es ruhig einen zweiten Neuanfang geben könnte, denn immerhin liegt diese Praxis bei uns um die Ecke und allgemein sagt man ja, dass es schwer ist, eine neue Hausärzt*in zu finden.

Um nicht wieder überrumpelt zu werden, nutze ich die Zeit zwischen Terminvereinbarung und Termin, um mich in das Thema einzulesen. Ich studierte die Tabelle mit den Blutwerten und erkannte, dass es sich anscheinend bei mir um einen Prä-Diabetes handelt und um erhöhte Cholesterinwerte. Ich lieh alles aus, was es in der Onleihe (digitale Bibliothek) gab. Zunächst las ich ein paar Bücher in denen stand, dass der moderne Umgang mit Diabetes eine Ernährungsumstellung + Bewegung ist und dass durch eine Gewichtsabnahme von mindestens 10% der Diabetes sogar zurückgedrängt werden könnte. Da hatten wir wieder das Thema mit dem Gewicht – für mich als jemand, die seit Jahren Frieden mit ihrer Körperform geschlossen hat und sich auch für Körperakzeptanz engagiert aber immer noch ein heikles Thema.

Ich schwankte zwischen „yeah, dann machen wir das doch einfach“ und „ohgottohgott, ich will doch nach Italien, da darf ich dann nichts mehr Gutes essen und das dann auch für den Rest meines Lebens“. Die Bücher der Ernährungs-Docs aus dem Fernsehen, die einen Großteil der verfügbaren Bücher ausmachten, hatten einen gewissen Tschakka-Tonfall. Ich fühlte mich motiviert. Gleichermaßen war ich misstrauisch, denn ich habe schon viel zu oft erlebt, dass Diäten nicht funktionieren. Ich hatte es ja schon mehrfach in meinem Leben probiert. Es ist tatsächlich nicht wirklich ein Problem 30 oder mehr Kilos abzunehmen, aber ich hatte nie geschafft mein verringertes Gewicht zu halten. Zuletzt hatte ich 1999 so viel abgenommen und es klappte auch bis 2001 ganz gut, nicht zuzunehmen. Allerdings machte ich in dieser Zeit mindestens 4x pro Woche Sport, trank keinen Alkohol und aß keine Süßigkeiten. Die Restriktionen machten mich ziemlich einsam, denn ich war eine Spaßbremse bei Treffen mit Freund*innen und Zeit hatte ich dafür auch fast nicht, denn ich musste ja ständig zum Sport. Nach und nach liess ich die Disziplin schleifen, hier ein bisschen weniger Sport, dort ein Gläschen und dann auch mal wieder ein Eis – ein bisschen Spaß muss sein. Es dauerte nicht lang und ich hatte mehr als die abgenommenen 30 Kg wieder drauf.

Nachdem ich ca 15 Bücher der Ernährungs-Docs und Konsorten inhaliert hatte, fiel mir wieder der Podcast von Dr. Antonie Post ein. Ich kenne Antonie, wir haben schon das eine oder andere Projekt zusammen gemacht und ich schätze ihre gewichtsneutrale Arbeitsweise. Ich hörte ein paar Episoden ihres Podcasts – insbesondere die über die Abnehmspritze. Ich musste zweimal sehr konzentriert zuhören, denn auf einmal wurde mir klar, dass das was bei den Ernährungsdocs als Semaglutid bwz. „wow, wir haben ein ganz modernes Medikament, dass sogar dabei helfen kann, ein paar Pfunde loszuwerden“ heißt, das Gleiche wie die Abnehmspritze ist, die ich als Körperakzeptanz-Aktivistin kritisch sehe. Wenig später kam ihr neues Buch „Intuitiv essen, gesünder werden, besser leben – bei chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, PCOS, Allergien und Co“ (–> Leseprobe) heraus. Auch dieses habe ich 2x gelesen, obwohl ich das meisten schon aus Antonies Podcast kannte. Im Gedächtnis blieb mir nach dem Lesen insbesondere die Formulierung, sein Leben „in Mäuseschrittchen“ zu ändern. Das klang ja mal nen bisschen anders, als die Tschakka-Literatur.

Mit der von Antonie vorbereiteten Frage „Was würden sie mir raten, wenn ich nicht dick wäre? Wie würden sie mich dann behandeln“ ausgestattet, ging ich wieder in die Hausarztpraxis. Dieses Mal war ich beim Chef. Ob das gut gehen würde? Mit ihm hatte ich schon mal eher unangenehme Diskussionen über PCR-Tests und Corona-Impfung. Ich hatte dann zwar bekommen was ich wollte, hatte aber durchaus den Eindruck, dass ich nicht eine Lieblingspatientin sei. Aber ich war positiv überrascht. Der Arzt nahm sich mehr als 30 Minuten Zeit für mich und liess auch von dem Vorschlag ab, dass ich zuerst abnehmen müsste, als ich sagte, dass das für mich keine Option sei an die ich glauben könnte. Die Abnehmspritze hatte er mir nicht angeboten, ich solle mich einfach mehr bewegen und viel Grünzeug essen. Er nannte es auch nicht Diabetes – das verwirrte mich allerdings eher, als es mich beruhigte, denn im Grunde lief es aufs Gleiche hinaus.

Seit dem 15 Februar, also seit 5 Monaten, esse ich fast keine Kohlehydrate mehr. Ich backe einmal die Woche ein Eiweißbrot und esse sehr viel Gemüse. Zum Frühstück gibt es statt einem Müsli mit 6 Esslöffeln Müsli nur noch einen Eßlöffel (ergänzt um Haferkleie, Chia-Samen und Leinsamen) mit einem Obst und Naturjoghurt. Ich mache keinen Zucker mehr in den Kaffe, trinke keine Getränke mit Geschmack und wenn ich Nudeln, Reis oder Kartoffeln esse, dann koche ich sie am Vortag und lasse sie 24 h im Kühlschrank. Ca. 2x im Monat gönne ich mir etwas Gutes (ein Stück Kuchen oder ein Eis). Sonntags esse ich manchmal ein Stück dunkle Schokolade und mit Freundinnen trinke ich auch hin und wieder ein Glas Alkohol. Wenn ich wirklich Jieper auf Süßes habe, esse ich einen Teelöffel Erdnussbutter. Vielleicht schreibe ich bei Gelegenheit mal noch mehr dazu. Auf dem Bild oben seht ihr einen typischen Salat, wie ich ihn mir mit ins Büro nehme, denn Essen gehen ist auch nicht mehr, denn Pizza und Nudeln sind ja nicht mehr auf der Tagesordnung. Aber es ist ja ohnehin alles so teuer geworden. Ich habe mir angewöhnt, nach dem Essen Spazieren zu gehen und einen Cappuccino mit Hafermilch (ja ich weiß, böse!) zu trinken. Außerdem gehe ich 2x die Woche schwimmen, mehr Schritte zu Fuß und lasse mich von der Apple-Watch motivieren. Aber dazu auch bei Gelegenheit mehr. Bisher funktioniert das ganz gut für mich. Ich habe erstaunlich selten Lust auf Süßes und weil ich dieses Programm, dass wirklich Zeit in Anspruch nimmt (frische Sachen einkaufen, Mahlzeiten selbst zubereiten, Schwimmen und Spaziergänge) radikale Selbstfürsorge nenne fällt es mir einigermaßen leicht, es umzusetzen.

Nach 3 Monaten hatte ich eine erneute Blutabnahme. Mein HbA1c Wert ist von 6,7 auf 5,8 gesunken. E-Mail vom Arzt: „in der Anlage Ihre Laborergebnisse per PDF, die insgesamt recht gut aussehen, der Langzeit-Zuckerwert hat sich sehr gut entwickelt, nur die Cholesterinwerte könnten etwas besser sein. Ich würde aber tatsächlich zunächst quartalsweise die Laborwerte kontrollieren wollen.“ Zur Belohnung gab es ein neues Armband für die Motivations-Uhr und die Überlegung, ob ich dieses strikte Programm tatsächlich für den Rest meines Lebens durchhalten werde.